Politische Legitimität

Sozialwissenschaftliche Diskussion und Herrschaftsressource im postsowjetischen Raum.

Gutachten für das Zentrum für Internationale und Osteuropastudien

Ziel der Studie ist es, den Stand der sozialwissenschaftlichen Forschung zu politischer Legitimität zusammenzufassen und zu analysieren, inwieweit Legitimationsstrategien politischer Eliten und Legitimitätsauffassungen in der Bevölkerung zur Stabilisierung politischer Regime in postsowjetischen Staaten beitragen. Die Studie ist in sechs Abschnitte gegliedert.

Zunächst wird die an Max Webers grundlegendes Verständnis legitimer Herrschaft anschließende sozialwissenschaftliche Begriffs- und Theoriebildung skizziert (1.). Das Legitimitätskonzept von David Beetham wird im Detail erläutert und in den folgenden Abschnitten mehrfach aufgegriffen. Dann werden existierende Ansätze zur Klassifizierung politischer Legitimität dargestellt, wobei insbesondere neuere Forschungsarbeiten zu autokratischen politischen Regimen ausgewertet werden (2.). Neben regime-vergleichenden Typologien werden auch Vorschläge zur Unterscheidung von Legitimationsmustern und Legitimitätsressourcen innerhalb von politischen Regimen betrachtet. Zur Messung politischer Legitimität nutzt die empirische Forschung Meinungsumfragen, Indikatoren für Legitimationsprobleme und kontextualisierende Expertenbewertungen (3.). Basierend auf Beethams Legitimitätskonzept identifiziert die Studie drei notwendige und hinreichende „Legitimationsleistungen“ zur Stabilisierung elektoraler Autokratien: Herrschende Eliten müssen ihre Fähigkeit und ihren Willen demonstrieren, Regeln durchzusetzen, eine gegenüber den Präferenzen der Bürger responsive Politik zu verfolgen und öffentliche Akten der bevölkerungsweiten Zustimmung zu inszenieren.

Im folgenden Abschnitt wird der Bestand an Legitimitätsressourcen in den politischen Regimen des postsowjetischen Eurasien analysiert (4.). Die im Dualismus formaler und informaler Institutionen angelegte Koexistenz rational-legaler und traditional-personengebundener Legitimität hat sich im Zuge von Korruptionsskandalen als zunehmendes Problem für die existierenden Herrschaftsordungen erwiesen. Gesellschaftliche Entwicklungsvisionen und Termini wie „Souveräne Demokratie“ funktionierten nur eingeschränkt als legitimierende integrative Ideologien. Seit den durch Wahlfälschungen ausgelösten regime-stürzenden Massenprotesten in Georgien, Kirgisien und der Ukraine verschärfte sich das Dilemma, dass Amtsinhaber im Falle einer Enthüllung herrschaftsnotwendiger Wahlmanipulationen einen Legitimitätsverlust erleiden.

Unzureichende und problematische rational-legale, ideologische und elektorale Legitimitätsressourcen führten dazu, dass die postsowjetischen autokratischen Regime besonders auf ihre Kapazitäten zur Bereitstellung von Massenwohlstand, öffentlicher Sicherheit und Ordnung sowie anderer Gemeingüter angewiesen sind. Aufgrund der Nicht-Abwählbarkeit der Präsidenten erschütterte die von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise ausgelöste sozioökonomische Performanzschwäche unmittelbar die politischen Regime; diese Krise bietet eine plausible Erklärung für die zunehmende Aktivierung nationalistischer Deutungsmuster durch die russischen politischen Eliten. Die Studie identifiziert drei typische Konstellationen, in denen die Legitimationsbasis politischer Herrschaft neu strukturiert wird (5.): öffentliche Massenproteste, Übergänge von einem Präsidenten zu seinem Nachfolger und symbolische Akte der internationalen Anerkennung oder Statuszuweisung. Die sich dabei bietenden externen Einflussmöglichkeiten werden knapp erörtert. Das abschließende Fazit benennt offene Fragen und Desiderata der Legitimitätsforschung zum postsowjetischen Raum (6.).