Regionalisierung in Mittel- und Osteuropa: Ursachen, Formen und Effekte

in: Kommunale Aufgabenwahrnehmung im Wandel: Kommunalisierung, Regionalisierung und Territorialreform in Deutschland und Europa, Hrsg.: J. Bogumil / S. Kuhlmann, Wiesbaden: VS 2010, 323-346.

Dieser Beitrag beschäftigt sich zunächst mit den Ursachen und Formen der Regionalisierungsprozesse in den zehn mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten. Unter Regionalisierung werden hier Reformen verstanden, die eine regionale Verwaltungsebene errichten und/oder ihre Kompetenzen und Ressourcen stärken. Dann werden die Effekte dieser Prozesse für die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften analysiert. Die kommunale Ebene war nicht nur Adressatin dieser Reformprozesse, sondern auch Akteurin, insofern als kommunale Verbände und Politiker in den Debatten über die Regionalisierung ihre eigenen Interessen vertraten. Aus der kommunalen Perspektive konnte eine Regionalisierung eine Dezentralisierung ermöglichen, aber barg auch das Risiko einer Rezentralisierung von Kompetenzen.

Der vorliegende Beitrag identifiziert die funktionalen Erfordernisse einer effizienten territorialen Verwaltungsorganisation und die Gelegenheitsstruktur des EU-Systems als wichtigste Antriebskräfte von Regionalisierungsprozessen. Regierungen, Verwaltungsexperten, an Dezentralisierung interessierte Parteien und kommunale Vertreter entwickelten in diesem Kontext Projekte zur Reform der mittleren Verwaltungsebene. In Abhängigkeit von den nationalen Rahmenbedingungen und Akteurskonstellationen entstanden daraus unterschiedlich weitreichende Reformen und spezifische institutionelle Arrangements.

Regionale Identitäten mobilisierten und artikulierten vor allem die Parteien der magyarischen Minderheiten in Rumänien und der Slowakei mit ihren ethnoregionalen Autonomiekonzepten. In den anderen Ländern blieben regionalistische Parteien eher Randerscheinungen, und Parteien mit einer regional geprägten Wählerschaft formulierten keine regionalspezifische Agenda. Diese politische Konstellation resultierte aus den staatlichen Zerfalls- und Neugründungsprozessen der 1990er Jahre, die die innerstaatliche ethnoregionale Diversität stark verringerten. Infolgedessen fielen regionalistische politische Akteure als Protagonisten dezentralisierender Reformen weitgehend aus oder wurden durch die securitization der Regionalisierung als Frage territorialer Integrität in ihrem Legitimitätsanspruch erschüttert. Aufgrund der Schwäche parteipolitischer Akteure prägten Verwaltungsexperten und kommunale Interessenvertreter in den meisten Ländern und über längere Zeiträume die Debatten über Regionalisierung und Dezentralisierung. Mit diesen Akteuren waren inkrementelle Reformprozesse und eine Dominanz funktionaler Effizienzargumente gegenüber demokratiepolitischen Argumenten vorgezeichnet.

PDF-Version:Regionalisierung_MOE